Das schwere Ding mit der Öffentlichkeit – Gemeindevertreter tagen in Heringsdorf

Die Bürgermeisterwahl in Heringsdorf war eine klare Sache. Vieles roch seitdem nach Neuanfang. Aber wie heißt es? Aller Anfang ist schwer…
Die Tagesordnung versprach durchaus interessant zu werden:

«Tagesordnung der 33. Sitzung der Gemeindevertretung Heringsdorf»

Irgendwie klang es historisch: Verabschiedung des alten Bürgermeisters, Ernennung des neuen Bürgermeisters. Eigentlich auch bezeichnend für die politische Atmosphäre in der Gemeinde, wenn ein ganz normaler demokratischer Vorgang einen Hauch von Zäsur erhält.

Das Publikumsinteresse war enorm, was sicher auch der in den letzten Tagen via Ostsee-Zeitung gestarteten Schmutzkampagne (nein – wir verlinken aus hygienischen Gründen nicht) gegen den neugewählten Bürgermeister Lars Petersen geschuldet war.
Nur soviel: der «Usedomspotter» bemerkte dazu treffend, dass die Latte im Nievaulimbo immer nochmal tiefer gehängt wird, wenn man man glaubt, der Tiefpunkt in der politischen Auseinandersetzung sei erreicht.
Letztlich verstiegen sich einige treibende Abgeordnete zu der provokativen Frage, ob man dem neuen Bürgermeister überhaupt seine Ernennungsurkunde überreichen könnte. Der jetzige im Wegsegeln begriffene Bürgermeister Klaus Kottwittenborg setzte noch einen drauf und orakelte etwas von „beamtenrechtlichen Problemen“.
Schon interessantes Demokratieverständnis: glauben einige Abgeordnete tatsächlich, ihre Zustimmung sei bei einem durch eine Direktwahl demokratisch legitimierten Bürgermeister erforderlich oder ausschlaggebend?
Und noch eine Meinung: wenn der Gemeindevorsteher mit dem neuen Bürgermeister nicht vertrauensvoll zusammenarbeiten kann, sollte er seine Posaune nehmen und sich zu den Abgeordneten gesellen. Vielleicht geht ja dann so etwas wie ein Neuanfang.Der abgewählte Bürgermeister sollte sich besser zurückhalten – beamtenrechtliche Probleme dürften wohl später durchaus mal ein Thema werden. Allerdings wohl nicht für Lars Petersen, wenn die Vorgänge in und um die Gemeinde Seebad Heringsdorf demnächst etwas aufgearbeitet werden.
Damit sind wir beim Thema. Transparenz und Öffentlichkeit.
Guiseppe_Bognanni_beyond_the_wall
Die blieben an diesem Abend etwas auf der Strecke. Der Saal fasste bei weitem nicht die Interessenten, die sich persönlich auf den Weg gemacht haben.
Herr Friedrich, der bei Privatangelegenheiten anderer Leute kein Problem damit hat, die erweiterte Öffentlichkeit zu suchen, stellte sich unter Verweis auf „sein Hausrecht“ vehement einer Bildberichterstattung durch die Medien (unser Blog zählt übrigens dazu – siehe «rechtliche Grundlagen von Piratenstreaming» – entgegen, wollte dann eine offene Abstimmung nach einfacher Mehrheit zur Übertragung durchführen und initiierte, nachdem er wohl doch nochmals nachgelesen hat, eine geheime Abstimmung.
Bei 7 Ja-Stimmen, 10 Ablehnungen und 2 ungültigen Stimmen (wo die wohl herkamen?) wurde die Berichterstattung abgelehnt. Ein peinliches Ergebnis – wie wir finden.
Die Reaktion aus dem Publikum fiel entsprechend aus. „Feiglinge“ war noch eine Form der milderen verbalen Reaktionen.
Joachim Schultz wies später als Abgeordneter seine Kollegen darauf hin, dass sie über ihre Haltung in Ruhe nochmals nachdenken sollten – sie passt nicht mehr in die heutige Zeit.
Bevor die Gemeindevertreter darüber nachdenken, können sie ja auch unsere Zusammenfassung
lesen. Wir kommen wieder und werden diese Diskussion weiterführen.
Kleiner Hinweis an die Gemeindevertreter: beauftragt unsere Verwaltung mit der Aufzeichnung und Veröffentlichung der Gemeindevertretersitzung. Was wir privat hinbekommen, sollte die Verwaltung auch schaffen. Wir helfen auch am Anfang.
Ermöglicht auch denen, die nicht persönlich kommen können, eine virtuelle Teilnahme an den Sitzungen der Interessenwahrnehmer (mal ganz wertfrei).
Hier der Bericht von Peter Schulze (Ahlbeck), der einen Platz im Saal ergattern konnte:

Heute habe ich für mich Neuland betreten: für die Piraten eine Sitzung des Heringsdorfer Gemeinderates aufzuzeichnen.

Eine besondere Sitzung, die Entlastung und Entlassung des alten und die Urkundenübergabe an den neuen Bürgermeister.
Aber nicht nur das. Die bei der Wahl unterlegene Fraktion hat eine Schmutzkampagne gegen den Neuen angeschoben mit der in der OZ veröffentlichten Spekulation, den siegreichen Kandidaten nicht zu ernennen oder vor Amtsantritt abwählen zu lassen.
Und das alles angeblich zum Schutz des Leumunds der Gemeinde.
Aber der Reihe nach. Ich hab also zusammengepackt, was ich so an Gerätschaften habe, Kamera und ein recht gutes Studiomikrofon, Laptop.
Ich war frühzeitig da, der eigentliche Pirat noch nicht. Angesichts der Vielzahl eintreffender interessierter Bürger hab ich mir erst mal einen Sitzplatz im Saal gesichert. Es wurde nach und nach so richtig voll, oder besser, der Saal war viel zu klein…
Jetzt noch die Sache mit dem Filmen…., hatt ich noch nicht gemacht, also? Blick in die Runde, zwei Gemeindevertreter kenne ich, einer davon war im Blickfeld. Also hin, angesprochen, Problemlage, besser: Wunsch erläutert… nach kurzer Beratung: den Gemeindevorsteher ansprechen, der steht drüben am Tresen.
Also hin, wer ist…? Ich bin…! Vortrag des Anliegens…
Spontane Ablehnung: Ich kann auf Grund meines Hausrechts so etwas untersagen….,
Von mir: Verweis auf Kommunalverfassung § 107, Abs.5 Satz 4…
Entgegnung: Ich weiß Bescheid, hab mich sachkundig gemacht, Abstimmung per Handzeichen reicht…(schon eine kleine Veränderung)
Nach Beginn der Sitzung ist plötzlich alles korrekt: Antrag eines Abgeordneten, geheime Abstimmung, Ergebnis 7 ja, 10 nein, 2 Enthaltungen…Waren wohl die meisten nicht rechtzeitig bei der Kosmetik oder beim Frisör…
Vielleicht gewöhnen sich die 10 alllmählich an den Gedanken, gefilmt zu werden…, ich erinnere mich an meine ersten Videoaufzeichnungen, war komisch.
Dann ging es los: Bürgerfragestunde.
Mit Blick in die Runde, überwiegend Ältere (ich gehöre dazu!), kaum junge Leute (die sind ja wohl auch überwiegend weg gezogen), mir schwant nichts Gutes. Aber Denkste.
Als erstes kriegt der Gemeindevorsteher heftig die Meinung gesagt, vom Publikum und von Gemeindevertretern. Der Saal tobt, applaudiert den kritischen Beiträgen.
Der Gemeindevorsteher zieht sich auf Formalsprache zurück, verwahrt sich, beteuert, erklärt…., aber ich möchte nicht in seiner Haut stecken.
Der neue Bürgermeister beruhigt die Debatte: der Gemeindevorsteher habe seine subjektive Meinung, er habe seine, das sei jetzt und hier nicht zu klären.
Find ich auch, aber deutlich wird am Publikum: er hat die Sympathien auf seiner Seite. Und das ist gut so.
Es folgten noch einige wichtige Bürgeranliegen, aber ich hoffe, die Betroffenen sind mir nicht böse, wenn ich jetzt davon nicht berichte…
Dies ist ein (sehr) subjektiver Bericht, ich hätte es gern live als Stream gezeigt…
Die meisten interessierten Bürger waren wohl wegen der Einführung des neuen Bürgermeisters gekommen. Die rangierte aber auf der Tagesordnung ganz hinten (23.00 ++). Ein Antrag, diesen Tagesordnungspunkt vorzuziehen, wurde vom Gemeindevorsteher unter (meiner Ansicht nach) fadenscheinigen Begründungen abgewiesen…Ich bin dann gegangen.
Es ist ein langer Weg hin zu mehr Transparenz…und dann kommen die Inhalte.
Naja, zumindest konnten sich die Abgeordneten dazu durchdringen, dem Bürgermeister seine Ernennungsurkunde zu überreichen und ihn in den Aufsichtsrat der KTS und der Wohnungsgesellschaft zu entsenden.
Dann dürfte es wieder interesant werden und vielleicht dürfen wir ja irgendwann mal live berichten.

Fragen Sie doch Ihren Gemeindeabgeordneten mal bei Gelegenheit…

Bildnachweis:
Guiseppe Bognanni, Lizenz: Some Rights reserved, Quelle: www.piqs.de

5 Gedanken zu “Das schwere Ding mit der Öffentlichkeit – Gemeindevertreter tagen in Heringsdorf

  1. Achterkerke, Heinz-Egon

    Guter Kurzbericht der das Geschehen treffend wiedergibt.
    Ich denke, dass mit der Transparenz wird schon.
    Bitte unbedingt weitermachen, dadurch werden noch mehr junge Bürger am Geschehen teilnehmen.
    Für mich ein Beitrag dafür das INTERESSE FÜR MEHR DEMOKRATIE zu steigern.

    Heinz-Egon Achterkerke

  2. […] arbeiten Marketingprofis Letzte KommentareDas schwere Ding mit der Öffentlichkeit – Gemeindevertreter tagen in Heringsdorf » Pirat… bei Abwärts immer, aufwärts nimmerPeter Schulze bei Alles auf AnfangBert Balke bei So arbeiten […]

  3. Marko Gührke

    Bzgl. der Videoaufnahmen hat es nach meiner Kenntnis noch nirgendwo geklappt, soetwas spontan zu bewegen. Erst Recht vor dem Hintergrund einer aller Wahrscheinlichkeit nach emotionalen Veranstaltung. Natürlich reagieren die Menschen zunächst ablehnend, wenn sie sprichwörtlich „überfallen“ werden.
    Geben Sie den Gemeindevertretern einfach ein wenig Zeit und bringen Sie Ihr berechtigtes Anliegen mit genügend Vorlauf in geordneter Weise (Antrag inkl. Begründung) auf die Tagesordnung. Und machen Sie sich zudem im Voraus einen Kopf darüber, in welcher Form Sie das Ergebnisse der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen wollen, d.h. vergessen Sie den technischen Aspekt nicht: 3h Video in HD-Qualität im Internet für jeden zugänglich veröffentlichen ist kein Pappenstil.

    • hallo,

      vielen dank für den fürsorglichen rat ;-).

      mitunter hat das filmen ja schon geklappt, ergebnisse gibt es auf dem youtube-account piratenmv. im grunde genommen überfallen wir ja auch niemanden, sondern setzen nur die kommunalverfassung um. ich möchte auch wetten, wenn wir nicht piraten wären sondern der NDR, würde kaum dagegen votiert werden. witzig ist ja nur, dass mit uns auch der NDR ausgeschlossen wird, wenn er dann mal da sein sollte.

      was das technische betrifft: wir haben die kapazität auch 3 stunden HD in wenigen minuten online zu haben. über youtube kann dann jeder selbst entscheiden, ob er sich das dann auch in HD geben will.
      standardmäßig filmen wir aber auch gar nich in HD sondern in 360p mit 800kbit/s. genauer haben wir das auf hgw.piratenpad.de/cam aufgeschrieben, für hinweise sind wir da aber offen.

  4. Danke für deinen Bericht und deinen Einsatz!

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